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Abschnitt 9: gefangen auf Gotland

11.-17.7.2006


Der Wetterbericht meldet Südwest bei drei Windstärken, das sollte für unsere Rückreise nach Gotland passen. Der Umweg über Saaremaa wurde gestrichen, wir wollen möglichst direkt nach Stockholm, da bietet sich Gotland als Zwischenstopp an. Zunächst läuft es sehr gut mit Großsegel und der alten Onno-Fock, aber der Wind nimmt mehr und mehr zu. Und die Wellen, die erst recht. Als erster hängt Seb über der Reling, nachdem sein Anfrage "Soll ich jetzt kotzen, oder was?" keine besseren Vorschläge brachte. Nach dem zweiten mal legt er sich hin und macht für den Rest der Überfahrt die Augen sicherheitshalber nicht mehr auf.
Mina hält länger durch, doch auch sie wird seekrank. Daniel und ich machen uns zunächst ganz gut. Wir machen uns jedoch Sorgen, wir sind übertakelt, ein Segelwechsel ist fällig, aber bei dem Seegang möchte ich einfach nicht nach vorne, obwohl die Fock schon ständig in die Wellen taucht. Ich hoffe, dass es mit der einsetzenden Nacht abflaut, also kämpfen wir weiter. Dann erwischt es auch Daniel, eine überaltete Salami setzt ihn außer Gefecht. Nun sitze ich also alleine in der Plicht, binde mich sicherheitshalber fest, denn es ist verdammt anstrengend so ohne Pause und im dunkeln. Als wäre das alles nicht schlimm genug fällt auch noch das GPS aus, mein Wegweiser durch die Nacht zeigt nichts mehr an. Warum gerade jetzt? Ein Neustart bringt das Gerät wieder auf trab. Uff.
Gegen eins kommt Daniel wieder raus und als uns eine dicke Bö erwischt nützt es alles nix, jetzt wird die Fock geborgen. Ich klinge mich mit dem Lifebelt ein und kämpfe eine viertel Stunde mit der Fock, tausche die Onnofock gegen die deutlich kleiner Baumfock. Mein Ölzeug ist von außen und innen durchnässt.
Aber der Segelwechsel war nötig, Flüthörn segelt deutlich besser, das Kurs halten ist einfacher. Daniel ist so weit fit, das ich mich für 1.5 Stunden hinlegen kann, dann segel ich den Rest bis Gotland.
Als die Sonne aufgeht sind wir mittlerweile in Sichtweite und Wellenabdeckung zur Insel. Meine Besatzung wird endlich wieder lebhaft, obwohl wir mal wieder nicht ganz den richtigen Punkt getroffen haben. So kreuzen wir noch entspannt ein Stündchen, bis wir in den Farösund einsegeln und in dem uns schon bekannten Hafen festmachen. Zwanzig Stunden hat die Überfahrt gedauert, zwar schneller als die Hinfahrt, aber um einiges anstrengender - ich falle erstmal in die Koje...
Wir gönnen uns ein großes Frühstück und regenerieren und entspannen uns für den Rest des Tages. Abends wird auf den großen Steinen der Hafenbefestigung gegrillt und wir spielen noch eine Partie Siedler.

Auf der weiteren Route nach Stockholm bietet sich Gödska Sandön an. Die Insel wurde uns von einem schwedischen Segler sehr empfohlen: Ein Naturschutzgebiet, ohne Bewohner, ohne Hafen mit Sandstränden ringsum.
Leider passt der Wind zunächst wieder nicht, wir segeln trotzdem erstmal los. Wir kreuzen aus dem Farösund heraus. Der hat an seiner schmalsten Stelle eine auf 4 Meter vertiefte Rinne, aber links und rechts sind auch zwei Meter Wassertiefe in der Seekarte verzeichnet. Daniel soll im Ausguck nach Steinen Ausschau halten. Das Wasser ist so klar, dass man den Boden sehen kann. Zunächst geht alles gut, dann direkt nach einer Wende ruft er 'Steine - überall - ich weiß nicht wohin...'. Es rummst, dann sind wir drüber - Das Schwert hat einmal aufgesetzt, sonst ist nichts passiert. Wir kreuzen dennoch weiter, machen die Schläge etwas kleiner und sind schließlich aus dem Sund heraus und sofort bei 40m Tiefe!
Mittlerweile hat der Wind gedreht, wir können unser Ziel direkt ansteuern - also los! Leider erreichen wir die Insel erst kurz nach Sonnenuntergang, eine Miniflaute hielt uns eine Stunde auf. Erst nach einem drohenden Anlassen des Motors kommt der Wind zurück. Wir ankern in der Leeseite der Insel (58°22.264'N 19°18.859'E) und rudern mit dem unterwegs aufgepumpten Beiboot an Land. Es ist... dunkel. Wir schauen uns kurz um und wollen morgen vormittag wiederkommen um diesen einsamen Strand mit Sicht auf unser Bötchen zu genießen. Dies soll leider die einzige Fahrt mit dem Schlauchboot im ganzen Urlaub bleiben...

Früh morgens werde ich wach. Es schaukelt. Zu doll zum schlafen. Ich stecke den Kopf raus - der Wind hat gedreht und wir sind nicht mehr im Schatten der Insel. Ich quäle mich noch eine Weile aber es wird immer schlimmer. Um 6 starte ich den Motor, ziehe den Anker hoch und fahre um die Nahe Ostspitze der Insel und es wird sofort wieder ruhiger.
Als wir gegen neun draußen beim Frühstück sitzen wird es wieder unruhiger. Das Boot schaukelt so heftig hin und her, dass wir die Teller festhalten müssen, die anfangen hin und her zu rutschen. 'Toll, dass der kleine Anker trotzdem hält' freue ich mich. Wir gucken uns alle um und es ist sofort klar - tut er nicht. Wir treiben parallel zur Küste ab. Unser klassischer Stockanker pflügt sich durch den Sand. die Schaufel ist völlig blank geschmirgelt, als wir ihn hochziehen, nachdem wir Flüthörn in windeseile startklar gemacht haben.
Mit maximal gerefftem Groß und kleiner Baumfock rasen wir los. Dabei sagt der Wetterbericht das gleiche wie am Vortag und da hatten wir Flaute! Normalerweise würde ich es mir bei diesem Wetter zweimal überlegen den Hafen zu verlassen, heute haben wir keine Wahl.
Als wir den Schatten von Godska Sandön verlassen, wird uns klar warum es auch vorher schon so geschaukelt hat: Hier sind richtig große Wellen und wir wollen am Wind da durch in Richtung Stockholm. Schon nach wenigen Minuten sehen wir die Sinnlosigkeit unseres Vorhabens ein und drehen um, zurück hinter die Insel um neu zu planen. Hier bleiben ist eine Möglichkeit, aber bei den Wellen würden wir uns nicht ins Schlauchboot setzen, also auf dem schaukelnden Boot eingesperrt sein. So setzen wir ein Handtuch namens Sturmfock und lassen uns vorm Wind zurück nach Gotland pusten.
Die Wellen werden größer, je weiter wir kommen. Die Wellenhöhe ist schwer zu schätzen, wenn man mitten drin steckt, die größten erreichen aber vier Meter - da sind wir uns einig. Diese Riesendinger kommen von hinten langsam näher und überragen den Heckkorb bei weitem. Wir können, sind wir im Wellental, schon lange nicht mehr über die Wellen hinweg schauen. Dann hebt die Welle das Heck an, und die ohnehin schon 7 Knoten schnelle Flüthörn beschleunigt nochmal und versucht die Welle herabzusurfen. Das GPS zeigt Geschwindigkeiten von über 10 Knoten, aber ich weigere mich das zu glauben. So schnell geht gar nicht mit Flüthörn!! Dann ist die Welle unter dem Boot hindurchgelaufen, die Logge ist wieder glaubwürdig und das Spiel geht von vorne los. Das Steuern verlangt volle Konzentration, damit wir in den Wellen nicht querschlagen, heute gebe ich die Pinne nicht aus der Hand.
Dann passierts: Eine Bö ergreift das Schlauchboot, das wir noch immer hinterherziehen. Es hebt ab und drückt gegen das Heck. Es knackst und der Adenauer hängt nur noch an seiner Sicherungsleine, der Stock ist gebrochen. Daniel und Seb kämpfen mit dem Schlauchboot, das sich nun unter Wasser befindet und von der Strömung viel zu stark nach unten gezogen wird, um es wieder in eine transportable Position zu zwingen. Erst als ich mich dazu durchringe den Kurs zu ändern und wir langsamer werden, gelingt es ihnen das Boot wieder hochzuziehen. Wir binden es ganz kurz an. Es dreht sich zwar noch manchmal über Kopf, kann aber nicht mehr untertauchen! In der Hektik bekommen wir gar nicht mit, wie sehr wir von den für kurze Zeit seitlich anrauschenden Wellen auf die Seite gelegt werden. Nur Romina ist kreidebleich, als wir wieder auf altem Kurs sind...
Wir brauchen fünf Stunden, um in den gut geschützten Farösund zu gelangen. Es kommt uns wie eine Ewigkeit vor! Aber kaum sind wir zwischen den Inseln, sind die Wellen nahezu verschwunden - Erleichterung macht sich breit. Mein ohnehin schon großes Vertrauen in Flüthörn ist mal wieder gewachsen: 'Was kann dieses Boot eigentlich nicht ab?' Erkundige ich mich später bei meiner Ma. Wir machen fest und feiern unser aller zweiten Geburtstag. Daniel und Romina kaufen sogar Geschenke für jeden von uns.
Allerdings sind wir nun schon zum dritten mal in diesem Hafen. Verflixtes Gotland, wir kommen hier einfach nicht weg!



Heute ist wieder ein Crew-wechsel fällig. Seb fliegt morgen von Stockholm nach Hause und Conni steht bereits seit Tagen in Stockholm und den Startlöchern, um Sebs Platz einzunehmen. Gottseidank gibt es eine Fährverbindung von Visby mit Anschlussbus nach Stockholm. So machen wir uns alle mit dem Gotlandbus auf nach Visby. Romina kennt die schöne Stadt ja noch nicht und Daniel und ich waren ja auch zwei Wochen nicht da...
Wir treffen Conni direkt am Busbahnhof und machen eine schöne Stadtführung für unsere Visbyneulinge. Um 0:25 Uhr lädt uns der Bus wieder in Farösund ab.


Wir starten unseren dritten Versuch Gotland zu verlassen. Es ist ordentlich Nordwind gemeldet, wir wollen in Richtung Westen zum Festland. Nachdem wir den Sund verlassen haben setzen wir vorsichtig die Segel. Aber so viel Wind ist gar nicht - Reff raus. Dann eine größere Fock. Es nützt alles nichts, der Ostseewind narrt uns mal wieder und nach 2h dümpeln wir ohne Fahrt herum. Bisher sind wir parallel zur Küste gefahren, so findet sich in 3sm Entfernung der Hafen Bläsehamn (57°53.588'N 18°50.354'E). Die Gotlandflucht muss nochmals verschoben werden.
Dafür finden wir einen traumhaften Hafen vor, ausser uns ist nur ein unbewohntes Boot hier. Wir liegen direkt an einem alten Steinbruchmuseum. Die Gebäude sind gut in Schuss, die alten Loren machen noch zweimal täglich Tourifahrten - es gibt viel zu gucken und entdecken! Das Museum hat allerdings schon geschlossen, das Gelände ist ausgestorben. Wir machen trotzdem eine kleine Eisenbahnfahrt, Daniel schiebt 'unsere' Loore in die eine Richtung, ich in die andere, Weichenstellen, alles funktioniert. Ein Riesenspaß!
Einen Hafenmeister bekommen wir nicht zu Gesicht, dafür eindrucksvolle sanitäre Anlagen: Das Klo ist ein großes Zimmer mit Laminat und Teppich, Waschbecken mit fließendem Wasser und Plumpsklo! Wahrscheinlich ist es einfach zu aufwändig durch den Granitboden eine Kanalisation zu buddeln...
Abends verabschiedet sich Romina. Auch sie muss nach Stockholm und ob wir morgen dieses Eiland verlassen werden, ist ungewiss.

Am folgenden Tag weht uns ein kräftiger Westwind um die Nase. Wir sind flexibel, unser Ziel lautet immer noch 'schwedisches Festland', also beschliessen wir nach Nordwesten in Richtung Nynäshamn zu segeln. Es wird eine recht ruppige Überfahrt, die berüchtigte kurze Ostseedünung klatscht uns um die Ohren. Als ich die Fock wechsele und Flüthörn ohne die Stabilisierung der Segel hin und herschaukelt erwischt die Seekrankheit leider Conni. Und wenn man einmal krank ist, wird man es auch meist erst wieder los, wenn man festen Boden unter den Füßen hat. So hängt sie die nächsten 5 Stunden elendig über der Reling, beteuert aber immer wieder, dass sie es trotzdem genießt... Als es dunkel und kälter wird zwingen wir sie endlich, sich unten hin zu legen.
Übrigens war die Seekrankheit bei allen meinen Helfern ein einmaliges Phänomen. Wer einmal Stufe drei erreicht hat, der wird nicht wieder Seekrank. Die drei Stufen der Seekrankheit:
  1. Man hat Angst zu sterben
  2. Es ist egal ob man stirbt
  3. Man wünscht sich nichts sehnlicher als zu sterben, damit es endlich aufhört
Nach gut 65sm erreichen wir um Null Uhr die Küste und müssen nun im dunkeln in das Schärengebiet einfahren. Zunächst orientieren wir uns an den Farbsektoren zweier Leuchttürme und finden die Passage zwischen die ersten Inseln. Wir bergen die Segel und tuckern ganz langsam durch das gewundene Fahrwasser. Abwechselnd gleiche ich die GPS-Position mit der Karte ab, und suche am Bug mit dem Suchscheinwerfer die nächsten (oft unbeleuchteten) Tonnen. Um 2:30 erreichen wir Ankarudden (58°48.033'N 17°50.168'E) und legen uns erleichtert an den Anleger für das Ausflugsschiff. Morgen früh im hellen werden wir uns einen besseren Liegeplatz suchen. Im vierten Anlauf ist es uns gelungen: schönes Gotland, auf Wiedersehen - aber nicht so bald!

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